In der Sommersession 2021 hat der Nationalrat die Motion«Landesverweisungen per Strafbefehl bei leichten, aber eindeutigen Fällen» angenommen. Die obligatorische Landesverweisung wurde im Rahmen der Ausschaffungsinitiative wieder eingeführt und in einem ersten Schritt durch die Motion «Konsequenter Vollzug von Landesverweisungen» überarbeitet.
Der aktuelle Vorstoss der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates will den hängigen Auftrag erweitern und präzisieren: Die Anordnung eines Landesverweises soll in Zukunft bereits möglich sein, wenn die Voraussetzungen zum Erlass eines Strafbefehls erfüllt sind. Der Landesverweis sei zudem als Grund für eine Notwendige Verteidigung aus der Strafprozessordnung (Art. 130 StPO) zu streichen und die Katalogstraftaten im Strafgesetzbuch (Art. 66a StGB) anzupassen und allenfalls zu präzisieren. In der Wintersession 2021 hat der Ständerat lediglich die Anpassung und Präzisierung der Katalogstraftaten gutgeheissen. Die Landesverweisung per Strafbefehl und ohne amtliche Verteidigung lehnte die kleine Kammer aufgrund rechtsstaatlicher Bedenkenihrer vorberatenden Kommission ab.
Mangelnder Rechtsschutz
Das Strafbefehlsverfahren ist für klare Fälle, in denen der Sachverhalt auch ohne Einvernahme geklärt werden kann und dort, wo es sich um blosse Bagatelldelikte handelt, geeignet. Damit das Strafbefehlsverfahren mit den Verfahrensgrundrechten kompatibel bleibt, muss garantiert werden, dass die beschuldigte Person Strafbefehl und Rechtsmittelbelehrung versteht und weiss, dass sie ihre Verfahrensrechte wahrnehmen kann, wenn sie innerhalb der zehntägigen Frist Einsprache erhebt.
Personen, die aufgrund einer Verurteilung wegen einer Straftat des Landes verwiesen werden, sind häufig keiner Amtssprache mächtig. Ihnen wird mangels Einvernahme vor Ausstellung des Strafbefehls häufig ein Strafbefehl in der Verfahrenssprache ausgestellt – obwohl sie einen Anspruch auf Übersetzung hätten. Auch handelt es sich vielfach um Personen ohne Wohnsitz in der Schweiz. In solchen Fällen kann ein Strafbefehl meistens nicht zugestellt oder persönlich übergeben werden und kann dann, auch ohne Veröffentlichung, als zugestellt gelten (vgl. Art. 88 Abs. 4 StPO). Das kann dazu führen, dass die zehntägige Einsprachefrist verpasst wird. Bei einer durch Strafbefehl angeordneten Landesverweisung hat dies gravierende Folgen. Nicht nur wird die beschuldigte Person, ohne dass sie sich dazu geäussert hat, massiv in ihren Grundrechten tangiert, auch wird ihr die Überprüfung der Landesverweisung durch ein Gericht verwehrt und sie kann – schon bevor ihr der Strafbefehl überhaupt ausgehändigt wurde – ausgeschafft werden.
Recht auf ein faires Verfahren
Die obligatorische Landesverweisung in Artikel 66a des Strafgesetzbuches als Ausfluss der Ausschaffungsinitiative sieht die Möglichkeit, Personen mit einem Strafbefehl des Landes zu verweisen, aus guten Gründen nicht vor. Bis anhin muss ein Gericht – und damit eine andere Behörde als die Strafverfolgungsbehörde – die Landesverweisung überprüfen und anordnen. Die Strafverfolgungsbehörden können lediglich von einer Landesverweisung absehen und/oder einen Härtefall prüfen.
Aus rechtsstaatlicher Perspektive ist die Motion der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates abzulehnen. Die Kombination einer Aushebelung der gerichtlichen Überprüfung und der Abschaffung der notwendigen Verteidigung gefährdet elementare strafrechtliche Verfahrensrechte und damit auch das in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbriefte Recht auf ein faires Verfahren. Bereits heute findet das Strafbefehlsverfahren in zu vielen Fällen Anwendung, für die es nicht geeignet ist. Eine zusätzliche Ausweitung ist weder nötig noch wünschenswert.
Der Nationalrat wird sich voraussichtlich in der Frühlingssession 2022 wieder mit dem Geschäft befassen. Es bleibt zu hoffen, dass er sich an die Wichtigkeit rechtsstaatlicher Grundsätze erinnert und die Landesverweisung per Strafbefehl und ohne amtliche Verteidigung nochmals überdenkt.
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