Dienstag, 15. Juli 2025

Wehmut

 Wehmut lässt sich nicht teilen
ausser jemand liebt dasselbe 
aus der Vergangenheit 
lieb und teuer

Im Bergdorf

 Nah am Wildbach

oben im Berghaus

vor dem Fenster

schiesst der Bach vorbei

sodass man es nicht

öffnen kann


der Mann vermisst

am Morgen seine Frau

er ist eifersüchtig

der Mann will seine Frau fragen

ob sie ihn in seiner Nähe

noch haben will


der Mann steigt halb angezogen

das hohe Berghaus hinab

er geht barfuss 

den steilen Weg


Schulkinder mit ihrem Rucksack

kommen ihm entgegen

durch den Schnee

zwischen Felsen hinab


auf einem freien Feld

zwischen Schnee und Eis

bringt der Verstorbene Vorfahr

das Bergheu

mit einem Holzrechen zusammen


der Nachfahre bückt sich

er findet mehrmals Silbermünzen

mit Figuren deren Bedeutung

er nicht kennt

erst jetzt merkt er 

dass er das Bettleintuch

am Kopf umgehängt hat

kein Gefühl

 Fehlt die innere Wärme

am kalten Schattenmantel

selbe daran

vorbei ziehen zu lassen


wird ein Gedanke emporgehoben

wie ein schwerer Stein 

wenn er fällt 

zerbricht das zarte Glas


in schweren Händen 

liegt die Vase

als suche sie 

Geborgenheit und Schutz


der Mann in dessen Brust

sein Herz dornenvoll schlägt

sonst kein Gefühl

ihm fehlt der Hoffnung Kraft


wünscht sich die Umarmung

einer neuen Welt

wo tödliche Angst

in sich zerfallen kann

an der Türangel

 Dein Auge 

dass mich liebkosend begleitet

an der Türangel 

wo die Nacht emporwächst

schlägt der Holzrahmen 

den Verlauf der Zeit

Gebunden nicht gebunden

 Bin gebunden
nicht gebunden
bin Dein Acker
indem Deine Seele
die Furchen zieht


mit Weh 

brechen sich 

die Schollen

mit Freude

wenn die Schaufel

in der Sonne blinkt


so hoffe ich

so merke ich 

bangend

auf die Frucht

die in meinem Leibe keimt

Die Linde

 Der Mittelsmann
der sonst keine Lobpreisungen 
in einer Gemeinschaft macht
geht Hand in Hand
mit Menschen 
auf eine Basilika zu

viele sind im Glauben
an ihren Gott durchdrungen
sie singen und preisen ihn
bis vor ihnen der Dom auftaucht

ein selbst ernannter Anführer 
geht als Erster 
an seiner Hand 
ein zweiter voraus

er muss sich unter 
die vom Geiste erfüllten 
in der grossen Kirche
unter der Renaissancedecke eingliedern 

der Gesang der Menschen
erfüllt den Raum

danach setzt sich
ob Frau ob Mann
in den Kirchenbänken
von dem andern 
neben ihm ab

ein Kantor ruft die Menschen
die vereinzelt 
vor dem Altarraum stehen 
zur Ordnung auf

ein veralteter tragbarer Papstthron
wird durch den Seitengang abgeführt
eine offene Pferdekutsche 
ohne Prälaten folgt dahinter her 

der Mittelsmann sitzt daraufhin
in einer Kutsche
das Pferd zieht ihn 
vor den Tabernakel

auf das Haupt

des Mittelsmanns 

wird von ihm unbemerkt

eine silberne Kette aufgelegt

ein anderer der neben ihm steht

nimmt sie ihm weg

er will sie verkaufen

dagegen wehrt er sich

was ihm die Seele geschenkt

will er für sich behalten


er steigt ab und zieht 
seinen Umhang aus
darunter trägt er 
scharlachrotes Gewand

die Menschen aus
verschiedenen Ländern
versuchen sich am Abend
gegenseitig mit 
Ihrer eigenen 
und anderen Geschichten
zu verständigen
woher sie kommen

warum und seit wann
im gebrochenen französisch
jemand in Paris beheimatet ist

ob jemand das Buch
der wilden Zora 
gelesen hat oder nicht

am Morgen
nach dem Spektakel
sitzen die meisten Pilger
zur Rückfahrt in Reisebussen bereit

auch der Mittelsmann
jetzt im weissen Hemd

er hat seine Jacke vergessen
springt in Eile 
und nimmt sein Jackett
von einem Bügelhalter
der im Freien steht
kommt noch vor der Abfahrt 
zu seinen Sitzplatz im Bus zurück

ihm selbst war nicht bewusst
dass er eine geschälte Linde
auf seinem Privatauto
auf die Pilgerreise mitgebracht hat

der Stamm kommt ohne
dass ihn jemand trägt
vor dem Bus zu stehen

noch vor der Abfahrt
kann man erkennen 
wie die Räumungsmannschaft
den Stamm mit anderem Unrat
auf einen Lastwagen wirft