Sonntag, 2. Oktober 2022

KIRSTEN ARMBRUSTER

Die Transdiskussion: Gefangen zwischen einer Zwei-Geschlechter-Gott-Vater-Biologie und einer Transhumanen-Ich-bin-mein-eigener-Gott-Ideologie



Vulvaritzzeichnungen aus dem Mutterhöhlenheiligtum Tito Bustillo im Schrein der Vulven, Ribadesella, Asturien, Spanien, Datierung: 22 000-10 000 v.u.Zeitrechnung, Foto: Franz Armbruster

Die gegenwärtige öffentliche Transdiskussion irrt seit einiger Zeit, scheinbar unlösbar, zwischen zwei feministischen Strömungen herum: den als TERFS (Trans-Exclusionary Radical Feminism) beschimpften Radikalfeministinnen* (Radfems) und den sich als woke und deshalb besonders modern fühlenden Queerfeministinnen* oder Liberalfeministinnen* (Queerfems oder Libfems). Ein Konsens ist nicht in Sicht. Wenn Feministinnen* sich gegenseitig zerfleischen, freut sich das Patriarchat, denn Krieg ist nicht die „Natur“ des Menschen, sondern nur eine der Hauptstrategien des Patriarchats, wie wir aus den Forschungsergebnissen der Interdisziplinären Patriarchatskritikforschung IPKF wissen. Und wir wissen auch inzwischen: Das Patriarchat als menschliche Kriegsgesellschaft existiert nicht seit Menchengedenken, sondern erst seit der Bronzezeit. Schauen wir uns die Transdiskussion mit dem Wissen der IPKF an, so ist leicht erkennbar, dass beide feministischen Strömungen falsch liegen, beide haben in der Tiefe zu wenig von den Strukturen des Patriarchats verstanden. Schauen wir uns beide Argumentationslinien daher noch einmal genauer an.

Die Position der Radfems, dass es ausschließlich zwei biologische Geschlechter gäbe, vertritt, wie öfters zu lesen ist, eine sogenannte „Schulbiologie„. Diese wird untermauert u.a. durch öffentliche Stellungsnahmen von Biologinnen wie Antje Galuschka, Marie-Luise-Vollbrecht und sogar, wie in emma zu lesen, der Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard. Nüsslein-Volhard erklärt in dem von der emma-Redakteurin Chantal Louis geführten Interview den „Grundkurs in Biologie“ folgendermaßen:

„Bei allen Säugetieren gibt es zwei Geschlechter, und der Mensch ist ein Säugetier. Da gibt es das eine Geschlecht, das die Eier produziert, zwei X-Chromosomen hat. Das nennt man weiblich. Und es gibt das andere, das die Spermien produziert, ein X- und ein Y-Chromosom hat. Das nennt man männlich. Und wenn sich ein Ei mit einem Spermium vereinigt, entsteht ein neues Wesen“. (Viele Geschlechter? Das ist Unfug!; emma online, 22.8.2022).

Fertig ist die in allen Schulen gelehrte „Paarordnung des Menschen„, die Paarordnung, die die patriarchal monotheistische Gott-Vater-Theologie im Alten Testament und deshalb unumstößlich und ewig gültig verfügt hat und zwar in allen drei sogenannten Buchtheologien – dem Judentum, dem Christentum und dem Islam.

Im 1. Buch Mose lesen wir, dass Gott der HERR den Menschen nach seinem Bild schuf und zwar als Mann und Frau (1. Mose, 1,Vers 28). Den Mann, den eigentlichen Menschen, schuf Gott der HERR aus Staub vom Erdboden (1. Mose, 2, Vers 7). Die Frau, die im Bilde Gottes als Hilfe des eigentlichen Menschen, des Mannes, gedacht war (und immer noch so in Gott Vaters „ewiger Weisheit“ gedacht ist), schuf Gott der HERR aus der Rippe des Mannes, des eigentlichen Menschen. (1. Mose, 2, Vers 21-23).

Biologie auf Schulniveau wird nicht nur auf eben dieser sehr simplifizierenden Art und Weise gelehrt, sondern vor allem auch auf der misogynen Basis dieser Gott-Vater-Zwei-Geschlechter-Schöpfungstheologie, die immer noch das Wertefundament unserer Gesellschaft prägt. Aus der Matrifokalitätsforschung wissen wir, dass diese vom Patriarchat indoktrinierte Paarordnung für Säugetierarten falsch ist, weil, die sich zum Beispiel bei der Menschenfrau über 10 Mondmonate hinziehende biologische Köperarbeit der Mutter während der Schwangerschaft natürlich absolut nicht gleichgesetzt werden kann, mit der einsekündigen Körperarbeit des sexuell beteiligten Mannes, des genetisch beteiligten Vaters, um nur ein Beipiel zu nennen. Und nicht zufällig werden Säugetierarten korrekt als Mammalia bezeichnet, als Wesen, die in erster Linie von der Mama und in zweiter Linie von der matrilinearen Großmutter- Mutterlinie abhängen, weshalb Matrifokalität (Mütter im Focus, Mütter im Zentrum) die biologische Ordnung der Säugetierarten ist und nicht die Paarordnung, schon gar nicht, wie im Patriarchat indoktriniert, die Vater-Mutter-Kind-Ordnung, mit dem erstgenannten Vater als herrschendem Oberhaupt der Familie (mehr dazu in Armbruster, Kirsten: Patriarchatskritik, 2020). Auf einer ausschließlichen heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit biologisch zu verharren, wird der vielfältigen Komplexität der Biologie mit ihrer Fülle von biochemischen Kombinations- und Rekombinationsmöglichkeiten nicht gerecht. Die Transdiskussion wird daher von der Seite der Radfems auf einem patriarchal geprägten falschen Biologieverständnis geführt, das transgeschlechtlichen Menschen ihre Existenz abspricht, bzw. sie in eine psychische Morbidität hineinfabuliert: eine no-way- Argumentation.

Anders, aber nicht besser, sieht es auf der Argumentationslinie der Queerfems aus. Auf der Basis der Thesen einer Judith Butler, die Geschlecht überhaupt nicht mehr biologisch, sondern nur noch sozial gendermäßig konfiguriert definiert, was dann als woke, links- liberal und damit als modern propagiert wird, bewegen wir uns ganz genauso innerhalb einer tief patriarchalen Indoktrination, die, parallel und gleichzeitig zur angeblich biologisch determinierten Zweigeschlechtlichkeit von Gott-Vater verfügt wurde und ebenfalls im 1. Buch Mose festgehalten ist (1. Mose 1, Vers 28), nämlich, dass der Mensch sich die Erde untertan machen soll, mitsamt all ihren Kreaturen. Der Transhumanismus setzt genau auf diesen im Patriarchat tief verankerten unbedingten Wunsch, die Natur zu entmachten. Das ist kein Zufall, denn die Natur gilt bis heute weltweit als Mutter, als Mutter Natur, als Macht des Lebens, Muttermacht, die diamentral entgegen gesetzt ist zur Herrschaftsmacht patriarchaler Väter und Männer mit einem toxisch-patriarchalen Männlichkeitsverständnis, verbunden mit Gewalt- und Tötungsphantasien, denn: Es war schon immer das höchste Ziel des Patriarchats Mutter Natur abzuschaffen und Mütter unter den Herrschaftsbereich von Vätern zu bringen mit dem Endziel, die Mutter durch ein Etwas zu ersetzen, nach dem Motto: Ich bin mein eigener Gott, befreie mich von den“ engen“ Grenzen der Natur und schaffe mir die Welt, wie auch immer sie mir gefällt. Gebären kann dann nicht nur die Mutter, sondern jeder der sich als Mutter identifiziert, oder noch einfacher, eine maschinelle Gebärmutter mit Wunschprogrammierung. Dieses transhumane Wunschprogramm, die Natur zu überwinden mit ihrer Mutter-Lebensmacht (der Macht, Leben zu machen) und der Überwindung des sich in der Natur durch die biologisch verankerte freie Sexualität der Frau (female choice) sich ergebenden Pater incognito, ist genauso Teil patriarchaler Indoktrination, wie die angebliche Paarordnung als heteronormativ zweigeschlechtliche Familiennorm bei Säugetieren. (auch hier verweise ich zur Vertiefung noch einmal auf das erste Standardwerk der Interdiszipinären Patriarchatskritikforschung IPKF: Armbruster, Kirsten: Patriarchatskritik, 2020).

Wenn sich beide feministischen Fronten der Radfems und der Queerfems auf patriarchal vermintem Gebiet bewegen, wo keine Lösung zu finden ist, wie kann dann eine postpatriarchale Lösung des „Transproblems“ aussehen? Sehr einfach, wenn wir die patriarchalem Indoktrinationen in ihrer Tiefe verstanden haben, können wir sie hinter uns lassen. Das bedeutet:

Es gibt viele biologische Formen von Geschlechtlichkeit, weiblich, männlich, intergeschlechtlich und transgeschlechtlich und die wiederum in verschiedenen Variationen, denn Vielfalt ist der Weg der Natur, Monismus oder Dualismus hingegen der zerstörerische, einengende und falsche Weg des Patriarchats. Der größte gemeinsame Nenner bei allen Säugetierarten ist die Tatsache, dass alles Leben durch Mütter ins Leben getragen wird. Das ist die sogenannte Natürliche Integrative Ordnung der Mutter, die NIOM-Ordnung. Welche Form von Geschlechtlichkeit letztendlich im mütterlichen Körper herausgebildet wird, unterliegt nicht nur der Zusammensetzung der Geschlechtschromosomen X und Y, sondern wesentlich auch der, den Embryo umgebenden Umwelt, also dem Körper der Mutter. Bisher verstehen wir noch extrem wenig, wie Geschlechtlichkeit sich tatsächlich biologisch herausbildet. Was sich aber abzeichnet ist sehr deutlich, dass epigenetische Einflüsse, wesentliche Faktoren sind bei der Entwicklung von Leben und damit auch von Geschlechtlichkeit.

Das bedeutet: die Gesellschaft muss sich öffnen für Intergeschlechtlichkeit und für Transgeschlechtlichkeit, und diesbezüglich auch die geltenden entwürdigenden Gesetze verändern, aber nicht nur das. Wir müssen auch unsere Geschlechtsstereotypen insgesamt verändern und aus den bis heute geltenden engen Kategorien befreien, hin zu genderfluid:

Wenn wir dadurch die Biologie von ihren patriarchal-dogmatischen Zuschreibungen befreien, dann können wir alle so bunt leben, wie es die Natur eigentlich für uns vorgesehen hat.

Ob operative Geschlechtsumwandlungen und vielleicht sogar hormonelle Behandlungen dann überhaupt noch nötig sind, lasse ich mal offen, denn, wenn ich gar nicht in einem „Falschen Geschlecht“ geboren werde, kann ich mich vielleicht mögen, so wie ich bin, vorausgesetzt die Gesellschaft akzeptiert diese Geschlechtervarianz ebenfalls. Befreiung von der patriarchal dogmatisierten Dualität der Geschlechter öffnet den Raum für Variationen von weiblich, männlich, intergeschlechtlich, transgeschlechtlich, letztendlich non-binär. Der größte verbindende Faktor der Menschheit ist, dass wir alle jenseits von Rasse, Religion, Geschlecht, Nationalität von Müttern ins Leben getragen werden. Ein dickes Dankeschön an die Mütter dieser Welt ist an dieser Stelle angebracht!



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