Samstag, 5. November 2022

Carmele Alexander

Gespenster existieren auf unterschiedliche Arten und Weisen. Unabgeschlossene Prozesse, nicht verheilte Wunden und Schmerzen sind solche Möglichkeiten. Sie hallen nach. Das Echo einer unbewältigten Vergangenheit durchzieht die Gedanken, unterminiert das Gemüt, schillert und wabert durch die Sinnbildungen hindurch. Annie Ernaux schreibt in Das andere Mädchen von einem solchen Gespenst, das einer verstorbenen, von den Eltern verschwiegenen Schwester, und verdichtet und drängt eine Erinnerungsspur bis aufs äußerste und kürzeste wortkarg gedrängt:

Ich kann ihre Erzählung nicht Wort für Wort wiedergeben, nur den Inhalt und einige Sätze, die die Jahre bis heute überdauert haben, Sätze, die wie eine kalte, lautlose Flamme über mein Kinderleben hinwegfuhr, während ich weiter neben meiner Mutter herumsprang und mich drehte, mit gesenktem Kopf, um bloß keine Aufmerksamkeit zu erregen.

Annie Ernaux aus: „Das andere Mädchen“

Die Ich-Erzählerin bekommt bei einem Gespräch mit, dass es vor ihrer Geburt ein weiteres Kind gegeben hat. Die Mutter weiß nicht, oder scheint nicht zu wissen, dass ihre zehnjährige Tochter zuhört. Weder der Vater noch die Mutter haben je der Ich-Erzählerin von der verstorbenen Schwester erzählt. Es hängen keine Bilder, keine Erinnerungsstücke in der Wohnung. Bei Besuchen und Treffen mit Freunden gibt es diese unheilschwangere Lücke und Stille in den Gesprächen, auch und gerade in den Gesichtern der Eltern. Etwas Hartes hat sich in die Gesichtsfurchen, in die Blicke und Worte eingegraben. Etwas Kaltes. Nur bei diesem einen Gespräch über die Hecke, mit einer jungen Frau, einer Fremden, die nur kurz zu Besuch ist, die eine vierjährige Tochter hat, mit der die Ich-Erzählerin spielt, erwähnt die Mutter zum ersten und letzten Mal die tote Schwester:

Sie sagt: bei ihrem Tod sah sie aus wie eine kleine Heilige
             sie gibt deine letzten Worte wieder: bald bin ich im Himmel bei der Jungfrau Maria und beim Jesuskind
             sie sagt, mein Mann ist durchgedreht, als er von der Arbeit in der Raffinerie in Port-Jérôme nach Hause kam und du warst tot
             Sie sagt, es ist etwas anderes, wenn man den Lebensgefährten verliert
             über mich sagt sie, sie weiß von nichts, wir wollten sie nicht belasten
             am Schluss sagt sie über dich, sie war viel lieber als die da
Die da, das bin ich.

Die Worte sitzen. Die Ich-Erzählerin wird diese Worte bis ins hohe Alter nicht vergessen. Das Buch endet im Oktober 2010. Da die Szene, in der die Mutter zum ersten und letzten Mal über die Schwester spricht, im Jahre 1950 stattfindet, schreibt die Ich-Erzählerin also im Alter von 70 Jahren über diese Sätze. Sie lassen sie nicht mehr los. Sie überdauern, bewegen, bleiben nach den eigenen Worten im eingangs zitierten Absatz wie eine kalte, lautlose Flamme im Kinderleben bestehen. Die untoten Sätze erzeugen das Gespenst einer unversöhnbaren Vergangenheit. Das andere Mädchen ist ein Versuch, das Untote wieder lebendig werden zu lassen, die Schwester anzusprechen, sich mit ihr auszusprechen, mit der Schwester auf diese oder jene Weise abzuschließen, also über die Eltern, die sie ein Leben lang verschwiegen haben, hinauszuwachsen:

In wenigen Tagen werde ich die Gräber [der Eltern, der Schwester] besuchen, wie jedes Jahr zu Allerheiligen. Ich weiß nicht, ob ich dir diesmal etwas zu sagen habe, ob es etwas bringt. Ob ich mich für diesen Brief schämen werde oder stolz darauf sein werde, wobei mir nach wie vor unklar ist, warum ich ihn überhaupt geschrieben habe. Vielleicht wollte ich, indem ich dir eine Existenz gebe, nachdem dein Tod mir eine Existenz gegeben hat, eine imaginäre Schuld begleichen. Oder dich zum Leben erwecken und noch einmal in den Tod zu schicken, um dich und deinen Schatten loszuwerden. Um dir zu entfliehen.

Um dieses Vorhaben zu bewerkstelligen, sammelt die Ich-Erzählerin alles, was sie über die Schwester in Erfahrung bringen kann, zusammen. Sie besucht das alte Haus. Sie sucht in alten Familienalben, befragt Cousinen, Tanten, entfernte Bekannte und enge Freunde. Vergeblich versucht sie ein Bild von der Schwester zu entwerfen, die über ihr thront, die von der Mutter als „lieber“ bezeichnet wird, als Heilige, als das eigentlich gewollte Kind, denn sie wollten nur eines und waren glücklich mit diesem einen, erstgeborenen.

Die Zeit vor ihrer Geburt erscheint der Ich-Erzählerin als unbeschwert, hoffnungsfroh. Die Eltern lebten voller Zuversicht und versprühten Tatendrang. Nach dem Tod der ersten Tochter änderte sich dies schlagartig. Alles wurde fad und grau:

Auf einem undatierten Foto aus der Vorkriegszeit hat er ihr lächelnd einen Arm um die Schulter gelegt. Sie trägt ein gepunktetes Kleid mit weißem Spitzenkragen. Das Haar fällt ihr schräg über die Augen. Noch ähnelt sie der glatthäutigen, herausfordernd blickenden Braut von 1928. Weder das Kleid noch die Frisur habe ich je an ihr gesehen. Die Frau aus deiner Zeit kannte ich nicht. Zu Beginn meiner Zeit, auf den Fotos, auf denen ich mit ihnen zusammen zu sehen bin, Fotos, die wahrscheinlich im Frühjahr 1945 aufgenommen wurden, wirken sie trotz ihres Lächelns, nicht mehr jung und unbeschwert, sondern ermattet.

Die Ich-Erzählerin stellt viel in Rechnung, insbesondere die Entbehrungen durch den zweiten Weltkrieg, durch die Okkupation Frankreichs, durch das Nazi-Regime, die Flucht und die Bombardements, aber vor allem bezieht sie die veränderten, schweigsamen Eltern auf sich. Sie kann den Verlust nicht wettmachen. Sie existiert nur, weil die erste Tochter starb, denn sie sind zu arm, zu notleidend, um sich ein zweites Kind leisten zu können. Die Eltern arbeiten schwer. Sie arbeiten erst getrennt, dann zu zweit in ihrem Laden. Sie wünschen sich für das Kind eine bessere Zukunft und tun alles dafür, dass ihre Tochter es zu etwas bringt. Mehr als ein Kind können sie sich aber nicht leisten:

Er wollte vor allem, dass ich glücklich war, sie, dass etwas aus mir wird, und die Summe dieser beiden Wünsche führte dazu, dass ich in der Familie und in dem Arbeiterviertel, in dem wir leben, eine beneidenswerte Existenz als privilegiertes Kind führte, das nie zum Bäcker geschickt wurde und das zu Gästen sagte, »ich bediene nicht«, mit der Begründung, dass ich weiter zur Schule ging. Du warst ihr Unglück gewesen, ich wusste, dass ich ihre Hoffnung war […]

All dies lastet sehr auf der Ich-Erzählerin. In ihrem Brief an Das andere Mädchenversucht sie mit kommunikativen Mitteln gegen das Übergewicht des Todes anzukommen. Sie möchte die Bedrückung, die Schuld, die Trauer loswerden, die alles umgibt, durchweht, jeden Erfolg relativiert, jeden Fortschritt in einen Rückschritt verwandelt, alles, was ihr gelingt, nur daran erinnert, wie sehr die erste Tochter, an der die Eltern sie nicht teilhaben lassen, fehlt. Das Gedächtnis der unbewältigten Vergangenheit hält die gesamte Familie gefangen. Sie entfliehen dem Kerker des Erlebten in keiner Phase. Das Urvertrauen in das Leben ist mit dem Tod des ersten Kindes verschwunden. Aus Leben wurde Überleben, und die Sprache, die Familiengespräche litten darunter:

Bevor ich diesen Brief begann, empfand ich bei dem Gedanken an dich Ruhe, die jetzt zerstört ist. Je länger ich schreibe, desto mehr habe ich den Eindruck, mich durch ein torfiges Gelände zu kämpfen, das wie im Traum menschenleer ist, nach jedem Wort einen Raum durchschreiten zu müssen, der mit einer undefinierbaren Materie angefüllt ist. Ich scheine keine Sprache für dich zu finden, keine Worte, ich kann nicht anders von dir sprechen als im Modus der Negation, des Nichtseins. Du stehst außerhalb der Sprache von Empfindungen und Gefühlen. Du bist die Anti-Sprache.

Annie Ernaux behandelt dieses Thema mit festen klaren Stanzen. Der Stil ist bis aufs äußerste minimalistisch. Die Eindrücke werden nur angedeutet, verdichtet. Sätze finden kein Ende. Sätze besitzen teilweise keinen Anfang. Das Fremde und die Entfremdung erschüttern das Fabulieren und Zusammenreimen. Es bleibt beim Rohen, aber so kondensiert und verklart, so eindrucksvoll lebendig oszillierend und kaleidoskopisch schillernd, dass ein Strudel der Erinnerungskraft entfacht wird. Ja, vor dem Schreiben bestand eine Ruhe sowohl in der Familie wie in der Ich-Erzählerin, aber eine Grabesruhe. In ihren Briefen an Das andere Mädchen wird diese Grabesruhe in Bewegung gebracht. Die Sprache der Erinnerung schreibt sich frei, setzt sich eigene, unverfrorene Ziele, überschreitet Grenzen und traut sich hinein ins Unbekannte, in die unverfälschte, brachliegende, schmerzende Szene, als die Mutter einer Fremden gegenüber, die sie kaum kannte, von ihrer verstorbenen Schwester erzählte, diese aber nie, weder zuvor noch danach, in Gegenwart der eigenen Tochter erwähnte. In dieser Szene, in der sich die Ich-Erzählerin als spielend maskiert, zerschellt alles Vertrauen in die Eltern, die Welt, die Zeit. Ob bewusst oder unbewusst, ihre Mutter hat auf diese Weise den Vertrauensverlust, den sie und ihr Mann durch den Tod der ersten Tochter erlitten haben, an die Tochter weitergeben, dezidiert und verdichtet in just diesem einen Moment, den Walter Benjamin in Das Passagenwerk ein Bild des dialektischen Stillstands nennt:

Nicht so ist es, daß das Vergangene sein Licht auf das Gegenwärtige oder das Gegenwärtige sein Licht auf das Vergangene wirft, sondern Bild ist dasjenige, worin das Gewesene mit dem Jetzt blitzhaft zu einer Konstellation zusammentritt. Mit andern Worten: Bild ist die Dialektik im Stillstand. Denn während die Beziehung der Gegenwart zur Vergangenheit eine rein zeitliche, kontinuierliche ist, ist die des Gewesnen zum Jetzt dialektisch: ist nicht Verlauf sondern Bild⁠〈,〉 sprunghaft. – Nur dialektische Bilder sind echte (d. h.: nicht archaische) Bilder; und der Ort, an dem man sie antrifft, ist die Sprache. 

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Erwachen 
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[N2a, 3]

Walter Benjamin aus: „Das Passgenwerk“ (Band V.1, 576)

Um dieses Erwachen geht es in Das andere Mädchen. Die Ich-Erzählerin versucht den Anspruch der Szene mit der Mutter, den Moment, in welchem sie von der Existenz ihrer Schwester erfährt, sprachlich zu bannen. Dieser Moment hat sich tief in ihr Denken, Empfinden und Erinnern eingegraben. Die Welt vor und nach dieser Szene konnte nicht dieselbe bleiben. Ein Zeitenumbruch fand statt, eine kosmische Umwälzung. Mythisch ergriff die Erzählung der Mutter von der Tochter Besitz, sprunghaft und archaisch. Die Verdrängung gelang nicht. Sie gelang weder den Eltern noch der Ich-Erzählerin, die daraus spät ihre eigenen Schlüsse zog, nämlich statt sich abzulenken, tief in den Abgrund zu schauen. Das andere Mädchen dokumentiert diese Bemühung, diesen gewagten Neuanfang:

Ich kann keine Erzählung aus dir machen. […] Du existierst nur noch durch deinen Abdruck auf mein Leben. Über dich zu schreiben, ist nichts als eine Erforschung deiner Abwesenheit. Eine Beschreibung des Erbes der Abwesenheit. Du bist die leere Form, die nicht durch Schreiben zu füllen ist.

… die aber eigenartigerweise durch das Schreiben als Medium entsteht. Im Schreiben selbst spürt sie den Erinnerungsfetzen nach. In der Erinnerung und dem Ausdruck derselben beginnt die Szene ihr wahrhaftes, drückendes, allmächtiges Gesicht und Gewicht zu zeigen. Der Alp beginnt, vom Schreiben herausgefordert, denn dort, als dynamisch, in sich rekurrierend, dreht das Bild in sich und aus sich heraus in Zyklen um sich selbst und hält die Ich-Erzählerin in kreisenden Gedanken gefangen:

2003, in meinem Tagebuch, mit der Szene der Erzählung vor Augen: »Ich bin nicht so lieb wie sie, ich bin ausgeschlossen. Also werde ich nicht in der Liebe sein, sondern in Einsamkeit und in der Intelligenz.«

In Das andere Mädchen mischen sich Formen des Briefromans mit den Wegen und Unwägbarkeiten existenzialistischen Schreibens über Erweckungsaugenblicke wie in Albert Camus Der Fremde, als dieser im Gespräch mit dem Geistlichen, kurz vor der Hinrichtung, alles und jeden in den Schlund der Bedeutungslosigkeit zieht; oder Mathieu in Jean-Paul Sartres Der Pfahl im Fleische, als dieser im Krieg den ersten Menschen erschießt und ihn zum ersten Mal das Gefühl überkommt, etwas Endgültiges getan zu haben. In diesen Beispielen stößt den Protagonisten etwas von außen zu, etwas, auf das sie nicht vorbereitet gewesen sind, das durch die Filter, Schutzmaßnahmen ungehindert in ihr Innerstes gelangt und dort Wurzeln schlagen kann. Der existenzialistische Moment in Das andere Mädchen ist klar die Szene, in der die Mutter zum ersten und einzigen Mal von der verstorbenen Schwester geredet und die Ich-Erzählerin in ein erinnerungsträchtiges Trauma gestoßen hat, das zwischen Vergessen-Wollen und Nicht-Vergessen-Können schwankt:

Ich wollte gar nicht, dass die beiden von dir erzählen. Vielleicht hoffte ich, wenn wir weiter schwiegen, würden sie dich irgendwann vergessen. Diese Annahme findet ihrer Bestätigung in meiner Erinnerung an die unerklärliche Erschütterung, die mich als Erwachsene jedes Mal erfasste, wenn ich gezwungen war, mir folgende Selbstverständlichkeit einzugestehen: Du warst in ihrem Inneren unzerstörbar.

Das andere Mädchen ist ein langer Brief zu einem nie vollzogenen Abschied. In ihm steht die Zeit still. Sie tritt auf der Stelle, dort, wo einst ihre Schwester gestanden, gespielt, sich der Liebe der gemeinsamen Eltern versichert hat. Das Gedächtnis trügt nicht. Es spiegelt nichts als die Leerstelle im Empfinden der Eltern wider, die Lücke, die der Tod der ersten Tochter in ihr Leben gerissen hat, das geheime, alles bestimmende und definierende Zentrum der Familie. Diese Tiefenverschiebung manifestiert sich erzählerisch in den wiedergegebenen Bruchstücken, die sich zeitlich wie räumlich ineinanderschieben, sich nie treffen, keine Einheit geben können. Das Schreiben bringt keine Ruhe. Sie bringt aber Bewegung, Lebendigkeit in die Erinnerung. Es haucht dem zersplitterten Kosmos Geist ein, der Geist einer sich der Erinnerung stellenden Kraft, mittels derer die Sinnelemente der Existenz eine Gebundenheit erfahren, von der Friedrich Hölderlin in Mnemosyne [Dritte Fassung] schreibt:

Und immer/ Ins Ungebundene geht eine Sehnsucht. Vieles aber ist/ Zu behalten. Und not die Treue./ Vorwärts aber und rückwärts wollen wir/ Nicht sehn. Uns wiegen lassen, wie/ Auf schwankem Kahne der See.

Friedrich Hölderlin aus: „Mnemosyne“

Hölderlins Thema der Gebundenheit und Ungebundenheit, der Reise vom Werden und Vergehen des Seins drückt sich in Annie Ernaux‘ kurzen Roman eindrücklich aus. Das Zeit sammelt sich in der Erinnerung. Sie organisiert sich um dialektische Bilder im Stillstand, die täuschen, färben und klären, die stets im Hintergrund schlummern und dem Zeitverlauf ihr Gesicht aufprägen. Um diese Momente dreht sich alles. Sie bilden ein eigenes Sonnensystem mit Licht und Schatten, mit Bewegung, Gezeiten und Konstellationen. Annie Ernaux‘ Roman benötigt nicht viele Worte, um diesen Mikrokosmos zu schaffen, genauso wenig wie es vieler Worte der Mutter bedurfte, um die Ich-Erzählerin ins Bodenlose taumeln zu lassen. Sie stürzt zwischen den Worten der Mutter ins Leere. Was bleibt, ist der Verlust auf allen Seiten, das Weglassen, das Verschweigen, die Kraftlosigkeit auf Seiten der Eltern, sich dem Schmerz zu stellen, und die Ohnmacht auf Seiten der Ich-Erzählerin, den Verlust einer unbekannten Schwester unmittelbar zu empfinden. Zusammengenommen ergibt sich die Nicht-Erzählung eines Lebens, das nicht sein durfte, und die Erzählung eines Lebens, das sein durfte, aber nicht genügte.

Ich mache ihnen keine Vorwürfe. Die Eltern eines toten Kindes können nicht wissen, was ihr Schmerz mit dem lebenden Kind macht.

Hölderlin fasst dies Verhängnis in allen Versionen von Mnemosyne wie folgt:

Himmlische nämlich sind/ Unwillig, wenn einer nicht die Seele schonend sich
Zusammengenommen, aber er muss doch; dem/ Gleich fehlet die Trauer.

Friedrich Hölderlin aus: „Mnemosyne“

Indem die Eltern der Ich-Erzählerin sie und auch sich selbst aus der Trauer ausschlossen, sich nicht zusammennahmen, rissen sie das einende Band entzwei, das einzig sie zusammengeschweißt hätte, im Schmerz, im liebenden Andenken, im Teilen und gemeinsamen Tragen der Trauer, im fröhlichen Trost, nicht mehr alleine mit den Gefühlen und der Erinnerung zu sein. So blieben alle allein, und Das andere Mädchenbleibt ein unverstandenes, verhängnisvolles Rätsel von einem Leben, das aufhörte zu leben.

Mein erster Traum, an den ich mich erinnern kann, war folgendermassen; damals als meine Mutter meinen Bruder ins nahe gelegene Schulhaus mitnahm, im Keller ihm den Hals umdrehte. Meine Mutter auf dem Foto, mit ihrem Gesicht in schwarz weiss, wie Greta Garbo. 

Noch heute erscheint meine Mutter mir im Traum, sie sagt mir wütend ins Gesicht, dass ich dem Leben nichts wert sei; dahinter der zornige Vater: "Du bist nichts, Du wirst nichts, Du kommst ins Irrenhaus, oder ins Gefängnis". 

Ich bin trotzdem alt geworden. Meinem ich wurde im Drama der Seele als Kleinkind gesagt; da wo ich nicht der Autor bin, eine Nebenrolle in der Innenwelt, zur Aussenwelt zu spielen habe:, "Du Menschenskind, Du musst Deiner Wege gehen und nicht auf den Füssen stehen und gehen auf denen der anderen".

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