Donnerstag, 20. Oktober 2022

Humanrights/ Schweiz

Gewichtsdiskriminierung: Die Schweiz hat Nachholbedarf
Die soziale Benachteiligung und strukturelle Diskriminierung aufgrund des Körpergewichtes ist weit verbreitet und hat für hochgewichtige Menschen weitreichende Folgen. Trotzdem wird dieses Phänomen in der Schweiz bis anhin statistisch nicht erfasst und es fehlt an Rechtsnormen, welche vor Gewichtsdiskriminierung schützen. Zur Reduktion von diskriminierenden Praktiken und stigmatisierender Sprache gegenüber hochgewichtigen Menschen ist eine langfristige Strategie unabdingbar.

Gewichtsdiskriminierung: Die Schweiz hat Nachholbedarf
Empirische Studien aus verschiedenen Ländern zeigen, dass Gewichtsdiskriminierung ein gesellschaftlich weit verbreitetes Phänomen ist und unterschiedlichste Lebensbereiche betrifft. «Hochgewichtige Menschen werden im Gesundheitswesen, im Bildungssystem, im Berufsleben, in der Freizeit sowie beim Wohnen aufgrund ihres Körpergewichtes benachteiligt», so Melanie Dellenbach von Body Respect Schweiz. Dadurch wird nicht nur ihre Lebensqualität und ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigt, die Gewichtsdiskriminierung tangiert ganz grundsätzlich ihre Menschenrechte (Art. 1 AEMR).

Ungleichbehandlung im Gesundheitswesen
Hochgewichtige Menschen sind dem Risiko ausgesetzt, aufgrund ihres Körpergewichtes eine schlechtere medizinische Versorgung zu erhalten. Gemäss wissenschaftlichen Studien sind dicke Menschen von Seiten medizinischer Fachpersonen häufig mit negativen Zuschreibungen konfrontiert. Oft werden jegliche Beschwerden auf ihr Körpergewicht zurückgeführt und deshalb weitere Untersuchungen unterlassen. Nicht selten mangelt es in Praxen zudem an der notwendigen Barrierefreiheit. Aufgrund verbaler und körperlicher Gewalt in der Öffentlichkeit vermeiden hochgewichtige Personen schliesslich häufig medizinische Konsultationen oder zögern diese hinaus. Gemäss der Weltgesundheitsorganisation WHO kann dies letztendlich zu schlechteren gesundheitlichen Ergebnissen sowie einem erhöhten Sterblichkeitsrisiko führen.

Auch während der Coronapandemie ist die gesundheitliche Chancenungleichheit hochgewichtiger Menschen deutlich geworden. Sie wurden als Sündenböcke dargestellt und öffentlich die Frage aufgeworfen, ob sie im Falle einer Triage und bei der intensivmedizinischen Versorgung aufgrund ihres Körpergewichtes zurückstehen sollten.

Schlechtere Bildungschancen
Gewichtsdiskriminierung hat auch negative Auswirkungen auf die Bildungschancen hochgewichtiger Menschen, wie zahlreiche internationale Studien belegen. So erhalten hochgewichtiger Kinder und Jugendliche bei gleicher Leistung schlechtere Schulnoten. Weiter ist das Körpergewicht der häufigste Grund für Hänseleien und Mobbing unter Jugendlichen.

Schliesslich ist der Zugang zu Bildung an Schulen und Hochschulen für hochgewichtige Personen nach wie vor nicht barrierefrei und sowohl Dozierende wie auch Lehrpersonen sind für die Problematik bisher nicht sensibilisiert.

Die Schweiz muss handeln
In der Schweiz gibt es bis heute weder Grundlagestudien noch eine statistische Erfassung von Gewichtsdiskriminierung und Belästigungen in Bezug auf das Körpergewicht. Damit fehlt es dem Phänomen an Sichtbarkeit wie auch einer soliden Informationsgrundlage für weitere Massnahmen. Weiter besteht keine gesetzliche Grundlage, welche hochgewichtige Menschen vor Gewichtsdiskriminierung schützt. So ist das Körpergewicht etwa nicht von den Merkmalen des Diskriminierungsverbotes (Art. 8 Abs. 2 BV) abgedeckt. Schliesslich fehlt es an der notwendigen Sensibilisierung und anderen verbindlichen Massnahmen, welche hochgewichtigen Menschen einen diskriminierungs- und barrierefreien Zugang zum Bildungs- und Gesundheitswesen ermöglichen.

«Um die soziale Benachteiligung und strukturelle Diskriminierung von hochgewichtigen Menschen zu bekämpfen, braucht es umfassende Massnahmen» bestätigt Melanie Dellenbach. So etwa gezielte Datenerhebungen, die Errichtung von Meldesystemen, die Schaffung von Rechtsgrundlagen, die Anerkennung von Gewicht als Diversitätsmerkmal an Schulen und Universitäten und die Sensibilisierung von Lehrpersonen, Dozierenden und Studierenden in allen Lehr-, Sozial- und Gesundheitsberufen. Gemäss Dellenbach ist Gewichtsdiskriminierung schliesslich immer auch intersektional – etwa in bestehenden Projekten gegen rassistische Diskriminierung oder Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder der Geschlechtsidentität – mitzudenken.

Diskriminierung aufgrund des Körpergewichtes tangiert die Menschenrechte der Betroffenen. Neben raschen und umfassenden Massnahmen muss die Schweiz eine langfristige Strategie zur Reduzierung von Gewichtsstigmatisierung und -diskriminierung erarbeiten und umsetzen.

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