Samstag, 29. Oktober 2022

Peter von Mundenheim

Verfolger

Alle Gründe, die das Menschtier euch nennt, sind vorgeschützte Gründe. Das Menschtier verfolgt den Falschen den Anderen nicht, weil der falsch ist: sondern das Menschtier macht das andere Menschtier zum Falschen, um es verfolgen zu können.

Das Menschtier verfolgt das andere Menschtier, um die Verfolgung genießen zu können.

Das Menschtier foltert das andere Menschtier, weil es das Foltern genießt.

Lasst euch von den Gründen nicht täuschen. Die Gründe sind immer nur vorgeschoben. Das Menschtier erfindet tausend Gründe Millionen Gründe, warum? Weil es ein anderes Menschtier am Strick baumeln sehen will und zappeln und pissen, es will sehen, wie es dem die Zunge zum Maul rauswürgt, wie der ringt am Strick um jede letzte Sekunde, bis das Zucken endlich aufhört und das bleischwarze Gesicht erstarrt.

Das Menschtier will das sehen, und gleichzeitig weiß es, dass dies Wollen falsch ist, so erklärt es beliebige Menschtiere zu falschen, um mit denen das machen zu können und dabei dennoch richtig zu bleiben.

So schlau sind wir, schmeicheln sich die Menschtiere. SIE sagt, das wär falsch, was wir da machen, aber wer ist denn SIE, der schlagen wir ein Schnippchen, nicht wir sind die Falschen, sondern die Anderen sind die Falschen, und also sind wir die Richtigen, wenn wir das mit denen machen, was SIE falsch nennt.

Es hat nie aufgehört, das Menschtier, ein schlechtes Gewissen zu haben wegen solcher Denke, wegen solchem Handeln. Hat dennoch nicht abgelassen vom schlechten Handeln und Denken, die Lust gilt ihm gar zu steil. Wird der Druck des Gewissens gar zu scharf, so schreit es: Das sind diese Falschen, die machen uns diese schlechten Gefühle, die müssen wir noch viel schärfer verfolgen, damit endlich alles richtig wird mit der Welt!

Beim scharfen Verfolgen der Falschen, verbunden mit dem Versprechen, jetzt endlich die Welt in ihre Richtigkeit einzusetzen, waren die Hocherweckten stets an vorderster Stelle gewesen. Hatten immer am Abzug des Zeigefingers gestanden, hatten immer recht gehabt, hatten alle Verfolgung gerechtfertigt und alle Ganzkörperbemachung und hatten dabei laut geschrien: Gerade das haben wir doch abgeschafft, Folter und Verfolgung, das haben wir Wecker gemacht!

Aber zu den Zeiten, da der Junge längst tot war, da der Brillante an seiner Arbeit schrieb, die zerbrochene Puppe, hatte schweifende Unruhe die Menschwesen ergriffen. Sie hatten entdeckt: eine Wirklichkeit, gegen die einmal der Zeigefinger der Hocherweckten in Stellung gebracht worden ist, ist bald keine Wirklichkeit mehr.

Das Menschtier wollte aber Wirklichkeit. Wollte die ganze bunte Fülle IHRER Schöpfung.

Wollte all die Erzählungen Bilder Töne, herausgegriffen aus dem unendlichen Ozean des Möglichen, hereingeborgen aus der Wirklichkeit des Möglichen in die Wirklichkeit des Sinnfälligen.

Wollte die bewegten Filmerzählungen dieses Autors, und nicht bloß die Anklage der Zeigefinger, dass jener einst als junger Mann mit einem Mädchen umgegangen sei, als die noch ein Kind war.

Das Menschtier wollte nicht mehr wissen, dass diese Verfehlung das Eigentliche jenes Lebens gewesen sei. Wollte vielmehr die volle Lebensleistung der bewegten Bilder, die dieser geschaffen.

Der Untergang kommt, wenn die Verblendeten im Taumel ihrer Siegesfeier sich drehen.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 29.10.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)

Uns ist nach kurzer Zeit, den Guten und den Bösen, der ewige Schlaf.

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