Im Sexgewerbe sind bestehende gesellschaftliche Machtverhältnisse und ihre rassistischen Ausdrucksformen besonders sichtbar. Sexarbeiter*innen of Colour* werden aber nicht nur gesellschaftlich diskriminiert, sondern durch die rechtlichen Rahmenbedingungen ebenso strukturell benachteiligt.
Rassistische und koloniale Strukturen spielen in der Schweiz nicht nur im Sexgewerbe eine Rolle, werden in diesem Kontext aber besonders deutlich. Sexarbeiter*innen of Colour* sind in ihrem Alltag häufig Mehrfachdiskriminierungen ausgesetzt. Oft werden sie entweder als gefährlich und schlecht für die Gesellschaft wahrgenommen, oder als hilfsbedürftige Menschen, die zur Sexarbeit gezwungen werden und nicht wissen, was sie tun. Eine repressive Migrationsgesetzgebung und hohen Hürden zur legalen Sexarbeit kommen als strukturell gelagerter Rassismus erschwerend hinzu.
Besondere Sichtbarkeit von rassistischen Stereotypen
Das Sexgewerbe in der Schweiz charakterisiert sich oftmals durch ungleiche Machtverhältnisse zwischen der Kundschaft und den Sexarbeiter*innen. Die Position der Person, die sexuelle Dienstleistungen kauft, definiert sich über Macht, Status, Ressourcen und Geld, während sich die Position von Sexarbeitenden demgegenüber oftmals durch ihre Herkunft, Hautfarbe, Aufenthaltsbewilligung oder Geschlechtsidentität bestimmt. Gemäss Naomi Chinasa Bögli, Mitarbeiterin bei der FIZ Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration in Zürich, stehen Sexarbeiter*innen of Colour dabei in vielen Fällen auf der untersten Hierarchiestufe. Die Bilder, die von Kunden, Betreiber*innen und der Gesellschaft auf sie projiziert werden, sind stark rassistisch motiviert. Das zeigt sich exemplarisch an der Art und Weise, wie Sexarbeiter*innen of Color anhand von Kategorien angepriesen werden, welche nicht aufgearbeitete rassistische Stereotypen widerspiegeln. Die rassistisch motivierten Bilder stehen dabei stets im Zusammenhang mit dem Körper der Sexarbeitenden; ihre individuelle Persönlichkeit und Menschlichkeit werden in den Hintergrund verdrängt.
Doch auch einzelne Feminist*innen und Politiker*innen tragen zur Stigmatisierung und Diskriminierung von Sexarbeiter*innen bei. Immer wieder verlangen sie käuflichen Sex «zum Schutz der Sexarbeitenden» zu verbieten. Dabei werden gerade migrantische Sexarbeitende pauschal als Opfer betrachtet, unfähig zur Eigenmächtigkeit und Selbstbestimmung. Die Debatten verdeutlichen, wie insbesondere Sexarbeiter*innen of Colour neben ihrer Arbeit auch aufgrund von anderen Merkmalen – ihrer Hautfarbe, ihres Migrationshintergrundes, ihres Frauseins, ihrer Geschlechtsidentität, ihres Berufs oder ihrer Rolle als Mutter – zusätzlich diskriminiert und stigmatisiert werden. Als Konsequenz davon sind viele Sexarbeiter*innen of Colour täglich Mikroaggressionen, bis hin zu verbalen und tätlichen rassistischen Übergriffen ausgesetzt.
Strukturelle Diskriminierung durch rechtliche Rahmenbedingungen
Neben den alltäglichen Formen von Diskriminierung und Rassismus werden Sexarbeiter*innen of Colour in der Schweiz durch die rechtlichen Rahmenbedingungen zusätzlich strukturell benachteiligt. Gemäss Naomi Chinasa Bögli zeigt sich dies exemplarisch an der Umsetzung der restriktiven Migrationspolitik: Die bürokratischen Hürden und die erhöhten Auflagen für die legale Sexarbeit treibt insbesondere Personen von ausserhalb der EU – wovon viele Menschen of Colour sind – in die Prekarität, Illegalität und Abhängigkeit. Gemäss der Sexarbeiterin of Colour Yasmine Soler** sind solche spezifischen Gesetze für Sexarbeitende rassistisch motiviert: «Man macht offiziell Gesetze für Sexarbeitende. Aber eigentlich macht man diese Gesetze nicht für Sexarbeitende, sondern weil viele Sexarbeitende Migrant*innen sind». Ein im April 2022 veröffentlichter Bericht der Europäischen Allianz für die Rechte von Sexarbeitenden (ESWA) beleuchtet vertieft, wie historisch gewachsener Rassismus auf aktuelle europäische Gesetzen gegen Sexarbeit, Menschenhandel und Einwanderung Einfluss nimmt.
Im Diskurs über Sexarbeit und Rassismus ist es zentral, die Verletzlichkeit der Sexarbeiter*innen of Colour im Rahmen der bestehenden Machtverhältnisse zu verstehen, zu benennen und dagegen anzutreten. Dabei ist aber stets zu berücksichtigen, dass Sexarbeitende individuelle Menschen sind, die für sich selbst sprechen und ein selbstbestimmtes Leben führen können und wollen. Unter geregelten und fairen Arbeitsbedingungen kann Sexarbeit auf individueller Ebene emanzipatorisch sein und selbstbestimmt sowie eigenständig ausgeübt werden.
* Der Begriff Person of Colour ist eine positiv besetzte, politische Selbstbezeichnung rassistisch diskriminierter Personen. Im Zentrum steht dabei der gemeinsame Erfahrungshorizont, den Menschen teilen, die nicht weiss sind. Dieser entsteht beispielsweise durch nicht zugestandene Privilegien. Mit diesem Ausdruck wird nicht (primär) Hautfarbe beschrieben. Der Begriff markiert eine gesellschaftspolitische Position und versteht sich als emanzipatorisch, wenn er als Selbstidentifikation genannt wird.